Tragen wir seelische Verletzungen in uns, dann legen wir uns mit der Zeit Selbstschutzmuster zu. Wie eine unsichtbare Ritterrüstung schützt sie uns unentwegt.
Da uns unsere alten seelischen Verletzungen sehr verunsichern können, uns verletzbar und schutzlos machen, lernen wir mit der Zeit, uns selber gut zu schützen.
Dafür entwickeln wir Strategien und Verhaltensweisen, die uns vor weiteren Verletzungen, Demütigungen und Erniedrigungen schützen sollen. Doch vor allem sollen sie abwehren, dass all die Gefühle, die wir verdrängt haben, für uns selber fühlbar werden.
Solche Selbstschutzstrategien werden um die innere Verletztheit herum gelagert, oft sogar so gut und so lange schon, dass wir selber gar nicht mehr wissen, wie sehr wir uns schützend von uns selbst abtrennen und auch von unseren Mitmenschen. Und oft sogar so selbstverständlich, dass wir uns nicht mal mehr darüber wundern, was wir da eigentlich tun.
Folgende Schutz-Strategien begegnen mir immer wieder in meinem Arbeitsalltag:
(Auch wenn ich die männliche Schreibform -der Typ- wähle, sind hier nicht nur Männer, sondern auch Frauen-Typen gemeint ;0)
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Der klare verkopfte Typ ist kühl und gefasst, weiß zu allem etwas zu sagen und kann sich so geschickt rechtfertigen, dass der Gegenüber irgendwann nicht mehr weiß, worum es eigentlich ging. Die Fähigkeit, zu analysieren, zu vergleichen und gedanklich einzuordnen, endet nicht selten in endlosen Grübeleien. Dadurch, dass er sich eher in den geistigen Ebenen aufhält, fühlt er sich meist leicht und frei. Gefühle der Mitmenschen werden oft als belastend erlebt. Gefühlsausbrüche sogar als anstrengende Überforderung. Bei dem Versuch, solch ein emotionales Verhalten in Beziehungen gedanklich zu lösen, entsteht Hilflosigkeit und innerer Rückzug. Wenn er dann doch mal in eine emotionale Unstimmigkeit hinein gezogen wird, dann will er alles, was mit Gefühlen zu tun hat, logisch erklären, schnell abhandeln oder gleich im Keime ersticken: „Wenn du so drauf bist, dann rede ich erst gar nicht mit dir.“
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Der aggressive angriffslustige Typ. Er steht meistens unter Spannung, gerät schnell in Wut, bewertet stark, fordert und beschimpft. In Konflikten sorgt er mit einem Machtkampf dafür, dass er immer Oberwasser hat und verletzt den Gegenüber, um sich überlegen und sicher fühlen zu können. Angriff ist hier die beste Verteidigung. Schnell und zielsicher behält er die Oberhand. Er will bestimmen, um die Situation unter Kontrolle zu halten. Spannungsgeladene Ausbrüche treffen plötzlich auf seine Mitmenschen und erzeugen dort Angst und Anpassung. Starke und tief sitzende Schuldgefühle treiben ihn zudem noch zu verletzenden Vorwürfen. „Du bist selber schuld. Du hast mich wütend gemacht.“
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Der träge teilnahmslose Typ. Er ist umgeben von Schwere und Trägheit. Wenn es Auseinandersetzungen gibt, dann prallen Argumente und Emotionen an seinem dicken Fell ab. Er hinterlässt den Eindruck, als wäre er unerreichbar, als könne ihn nichts berühren und als wäre keine Veränderung möglich. Alles beim Alten lassen und das Leben auf ein erträgliches Minimum zu reduzieren sind seine Stärken. Zwischenmenschliche Reibereien, die ja der Entwicklung dienen können, werden hingenommen, ausgehalten und eher ertragen, als genutzt. Langsamkeit, Impulslosigkeit und Pausen bestimmen oft den Alltag, was dazu führt, dass Erledigungen nicht angegangen oder nicht abgeschlossen werden. Druck und Vorwürfe von außen, verschlimmern diese innere Starre noch mehr. Wie ein Fels in der Brandung, stabilisiert er sich in Bewegungslosigkeit.
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Der angespannt getriebene Typ. Er ist in Bewegung und hat ständig etwas zu tun. Es kommt einem so vor, als wäre er auf der Flucht oder würde ständig einem Ziel nachjagen. In Auseinandersetzungen versucht er Spannungen zu harmonisieren, indem er Situationen optimistisch verschönt und vielleicht auch freundlich verharmlost. Oder er dramatisiert, um das Wesentliche zu umschiffen. Gern versprüht er gute Laune, Liebe und Freude. Seine betonte Freundlichkeit, auch Lebendigkeit und lautes Lachen werden jedoch von den Mitmenschen oftmals als verstörend und unangenehm empfunden. Ein nett gemeinter milder Kleber legt sich über alles Traurige und Schmerzvolle. Dieser Typ kann wie eine Maschine funktionieren und dabei körperlich immer wieder zutiefst erschöpfen. Krankheiten verschaffen ihm dann eine Pause zum Kräfte sammeln. Perfektionismus gibt Halt und Sicherheit. Immer wird das Leben verbessert. Für andere Menschen da zu sein, ihnen zu helfen und sie zu unterstützen, ist sein Lebenselixier.
Hat ein Mensch eines dieser Muster stärker oder schwächer entwickelt bzw. Mischformen davon, dann ist das ein Zeichen dafür, dass er Erfahrungen und Identifizierungen in sich trägt, die er beschützen und sichern muss:
Verletzungen, Demütigungen, Folgen von Vernachlässigung und Gewalt, innere Zerrissenheit durch einen Jenseitssog, eigene Traumatisierungen oder die eines Familienangehörigen, sind nur Einige davon.
Je stärker die seelische Verletzung ist und das traumatisierende Erleben war, desto besser und hermetischer ist die Rüstung. In solch einem Selbstschutz fühlen wir uns sicher. Das Selbstschutzmuster zu verändern oder zu durchbrechen, ist kaum möglich und sollte auch nicht versucht werden, denn dadurch können wir uns aus dem Gleichgewicht bringen.
Einem Menschen sein Schutz-Verhalten vorzuwerfen, ist auch nicht sehr aussichtsreich und sinnvoll, denn jemand, der sich wie oben beschrieben verhält, kann gar nicht anders. Da gibt es keine Alternative. Er würde sich sonst selber in Not bringen.
Ein Schutzmuster ist immer die Folge von einem schwerwiegenden, nicht aushaltbaren unverarbeiteten Erlebnis. Eine Reaktion und eine Antwort auf etwas tiefer Liegendes in uns, etwas, dass wir nicht alleine halten, nicht lösen oder ändern konnten und können.
Der schützende Teil und der beschützte Teil gehören unzertrennlich zusammen.
Ohne Schutz kann Ohnmacht, Unsicherheit, Machtlosigkeit, Schmerz, Hilflosigkeit, Schwäche, Schwere, Unbehagen, Entwurzelt-Sein, Trauer, Leid, Abgründe, Schreck, Entsetzen, Erstarrung, Schock, Ängste, Empfindungslosigkeit, Verletzungen, Sog ins Jenseits, Überlastung, Weinen und vieles mehr in uns aufsteigen.
Ohne all diese belastenden Gefühle brauchen wir keine Schutzmuster, sondern können als eine frei fließende authentische wache liebende und klare Persönlichkeit leben, die die Höhen und Tiefen des Lebens entspannt, besonnen und sicher durchlebt.
Pingback: Schwermut, Leere, Impuls- und Antriebslosigkeit – wenn junge Menschen sich depressiv fühlen | Judith Mücke